MICHAEL BAUSE

Künstler, geboren 1954, arbeitet in Berlin
Das Gespräch mit Michael Bause fand am 10.11.2021 in seinem Atelier in Berlin statt.

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Christian Schiebe: Der Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit Deiner Arbeit liegt auf der Farbe. Farbe auf Leinwand und Farbe auf Papier. Inwiefern beeinflussen diese beiden Träger Deinen Arbeitsprozess?

Michael Bause: In der Malerei arbeite ich mit Acrylfarbe. Man kann sie in verschiedenen Konsistenzen anrühren und auftragen. Bei den Papierarbeiten, bei mir hauptsächlich Collagen – ich bin ja Maler und Collagist; den Collagist möchte ich betonen – geht es um ein gänzlich anderes Material. Das kann ich schneiden, kann es in Form bringen. Ich kann es aber nicht mit dem Pinsel auftragen, es besitzt eine feste Konsistenz. Das macht bei den Papierarbeiten natürlich den Unterschied, dass ich die Schichten – damit arbeite ich ja in beiden Medien – „schöner“ herstellen kann und auch einfacher. Ich kann Papiere übereinander legen und kann sie ebenso schnell wieder wegnehmen. Das ist in der Malerei natürlich so nicht möglich. Sobald Du die Farbe aufträgst, ist sie da. Du kriegst sie auch so leicht nicht wieder weggezaubert. Bei einer Collage habe ich ja erst einmal alles vor mir liegen und nichts ist fixiert. Du kannst Papiere wegnehmen oder austauschen. Das ergibt einen mehr spielerischen Zugang, um Räumlichkeit zu erzeugen. Mir geht es ja um Farbe und Raum. Die Räume lassen sich dadurch schneller herstellen und auch schneller korrigieren, ich kann spontaner agieren. Manches Material liegt vor mir während ich arbeite. Ich kann es mal eben zur Hand nehmen, rumschieben, rumstochern, mal was abschneiden, mal kleiner, mal größer machen, Flächen wieder übereinander legen. Während ich im Malprozess immer wieder neue Anläufe nehmen muss, Farben mischen etc. Es ist eine ganz andere Art des strukturierten Arbeitens. Aber was beide gemeinsam haben, ist der Versuch mit dem Material zu spielen. Sie ergänzen sich. Manches übernehme ich auch von den Malereien in die Collage und manches auch von den Collagen in die Bilder. Ich würde aber nie soweit gehen und eine Collage in Malerei zu übertragen. Dann müsste ich fotorealistisch arbeiten, um alle Feinheiten, die die Collage hat – z.B. dieses kleine Millimeterblitzen der Farbe an den Rändern – das müsste ich haargenau übertragen, quasi eins zu eins übersetzen. Sonst würde es keinen Sinn machen.

CS: Das wäre dann sofort meine nächste Frage gewesen. Wie die sich nun beeinflussen. Sind die Collagen so etwas wie Baupläne für die Malereien – aber das sind sie nicht. Sie sind Mitspielende…

MB: Ja, sie sind eigenständig. Wobei natürlich der Einfluss von gewissen Dingen eine Rolle spielt. Wenn ich eine Erfahrung in der Collage mache, versuche ich das im Kopf zu behalten. Und ich denke: Ah, das könnte eine gute Idee für die Bilder sein. Oder wenn ich an einem Bild arbeite und währenddessen denke; ah, das könnte als Ausgangspunkt für eine Collage ganz interessant sein. Ich benutze manchmal die Zweiteilung von Formen oder lasse auf der Fläche zwei Formen miteinander spielen, manchmal auch drei oder mehr und das ergibt eine mehr collage-artige Anordnung. Ich erziele die Dichte in den Bildern, indem ich die Formen übereinanderlege, ähnlich wie bei der Collage. Dort schneide ich die Formen und lege oder schiebe sie in- und aufeinander und bei den Bildern male ich sie in- und übereinander. Dadurch erscheint im Laufe des Malprozesses diese Vielschichtigkeit.

CS: Sie sprechen miteinander?

MB: Ja. Und oft auch aus einer pragmatischen Überlegung. heraus. Ich habe oft Flächen auf den Bildern, die lange trocknen müssen. Dann liegen sie aufgebockt, dann bin ich gar nicht mehr in der Lage daran weiterzuarbeiten. Ich kann aber zu den Collagen gehen und diese gleichzeitig weiterentwickeln. Während das Bild trocknet wird schon eine neue Idee am Tisch ausgearbeitet. Das verzahnt sich ganz gut. Dass war schon immer so. Seit ich angefangen habe an Collagen und Bildern parallel zu arbeiten, war die Collage von Anfang an ein gleichwertiger Partner – kein Baustein.

CS: Was mir jetzt sofort dazu einfällt wäre die Größe. Die Größe der Papierarbeit zur Größe der Malereiarbeiten. Als Maler hast Du eine große Bandbreite: Du malst verhältnismäßig große Leinwände und Du hast aber auch kleinformatige Malerei, die vielleicht nur so groß ist wie eine Handfläche.

MB: Die Collagen, die ich bislang machte, überschritten in der Regel das DIN A3 Format nicht. Früher gab es mal ein paar Arbeiten mit architektonischen Motiven, die größer waren, oder sie waren winzig – Miniaturcollagen in Briefmarkengröße. Aber die Hauptakteure sind in A4.

CS: Und wie kommt das zustande? Dass die „kleineren“ Papierarbeiten für Dich die passenderen sind?

MB: Din A4 ist ein gängiges Format. Farbkartons, Folien… alles ist in A4 erhältlich. Material größer als A3 gibt es fast nur in Rollen und das macht es komplexer und ich bräuchte eine vorgefertigte Idee, die ich dann ausführe. Bei den A4-Formaten kann ich spielerischer arbeiten, schnell mal was raus- oder wegschneiden – das geht ziemlich fix. Bei der Rollenware gäbe es weniger Spontanität. Früher waren meine Collagen kleiner. Trotzdem bekamen sie etwas Monumentales und erschienen in Abbildungen so, als könnte man ihre Größe nicht genau bestimmen.

CS: Dann spielt die Spontanität und Flexibilität eine ganz große Rolle.

MB: Ja, unbedingt! In der Malerei und in der Collage ist für mich der kontrollierte Zufall sehr entscheidend. Wenn Strukturen entstehen, die ich vorher nicht geplant habe, ist das für mich immer wieder überraschend. Wenn z.B. auf dem Tisch so ein kleines fragiles Teil liegt und ich stoße ausversehen daran und alles verschiebt sich und fördert plötzlich etwas zu Tage, was vorher darunter lag, dann habe ich auf einmal zwei Collagen da liegen. Ich brauche in der Arbeit immer den Zugriff, die Kraft etwas zu riskieren. Auch wenn das bedeutet, dass ich jetzt alles versaue.

Diese Power brauche ich; halbherzig dran gehen nutzt eigentlich nichts – dann umkurvtst Du nur die Formen, aber manchmal musst Du sie auch rigoros verschwinden lassen: übergießen, übermalen, überkleben u.s.w. Das ist immer der entscheidende Moment, der Moment, der die nötige Spannung in die Arbeit bringt.

CS: Geht Dir das bei den Papierarbeiten auch so, dass Du eines Morgens ins Atelier kommst und dann siehst Du diese Arbeit in einem anderen Licht, obwohl sie sich ja nicht verändert hat?

MB: Ja. Manche halten den erneuten Blick auf sie stand und andere waren vielleicht eine ganz witzige Idee, aber funktionieren so nicht. Manchmal fange ich vielleicht parallel eine neue an, dann habe ich zwei die ich in Bezug setzen kann. Aber ich verwerfe natürlich auch Collagen. Wenn sie erst einmal fixiert sind, dann verändere ich sie meist nicht mehr.

(Michal zeigt mir eine Collage)

Die hier ist jetzt so eine Arbeit, die sehr komplex ist, denn alles was übereinander liegt muss ich ab- und wieder auftragen. Im Grunde zurückblättern und dann wieder aufblättern. Manchmal mache ich Fotos, damit ich erinnere, wie das eigentlich übereinander lag. Es geht ganz schnell das sich hier was verschiebt, weil es ja manchmal auf den Millimeter ankommt. Ich trage bei einigen Collagen bis zu 30 Formen ab, die dann wieder zusammengefügt werden müssen. Das Kleben ist dann eine konzentrierte und gänzlich andere Arbeit. Da darf nur wenig Spontanes einfließen. Da muss ich genau gucken, dass ich das jetzt so fixiere, wie es da vor mir liegt. Wie ich es fixiere ist auch von entscheidender Bedeutung. Soll man es sehen? Soll man es nicht sehen? Wie fügt man die Klebespuren in die gesamte Komposition ein? Es gibt ja so viele Klebe- und Fixiermöglichkeiten. Das muss ich für jede Arbeit jedes Mal neu entscheiden.

CS: Das ist erstaunlich. Denn das ist ja ein großer Unterschied in der Handhabung als in der Malerei von Dir, denn jetzt muss alles sehr planmäßig passieren.

MB: Das mache ich auch nicht immer gern. Wenn ich einmal beim Kleben bin, dann geht es, dann läuft es. Aber ich muss mich da schon hineinzwingen, denn es ist wirklich manchmal mühsam.

CS: Und ist es manchmal aber auch hilfreich, um Lücken in der Atelierarbeit zu überbrücken, die naturgemäß ja auch entstehen: Dass man manchmal ja gar keine mentale Kraft hat, um jetzt etwas neues zu entwickeln oder einer neuen Sache auf die Spur zu gehen.

MB: Ja, es gibt natürlich Tage, an denen ich den Zugriff auf die Arbeit nicht sofort bekomme. Manchmal liegen im Atelier sehr viele Collagen auf dem Tisch, dass ich gezwungen werde sie zu fixieren. Bei den Fixierungen kann durchaus in einzelnen Fällen ein neuer kreativer Prozess beginnen. Einmal übertrage ich es genau so wie es vor mir liegt. Ein anderes Mal entstehen durchaus neue Möglichkeiten der Korrektur. Die Möglichkeit dann doch noch etwas hinzufügen bleibt bis zum Schluss, ein Prozess aus Kleben und Komponieren.

Und die Korrekturmöglichkeit muss immer dabei bleiben. Das ist in der Malerei genauso, weil ich lange an den Bildern arbeite. Ich habe keine Produktion von zehn Leinwänden im Monat. Es sind meistens ein bis zwei im Monat. Und die brauchen ihre Zeit. Das hängt wiederum eng mit der Collage zusammen. Ich würde sagen, ich male nach dem Collage-Prinzip.

CS: Im englischen gibt es den Begriff ”serendipity“. Dafür gibt es im deutschen keine wörtliche Entsprechung, aber sinngemäß handelt dieser Begriff vom Glück des Findens. Du hast ja für Deine Collagen einen Fundus. Wie beeinflusst das Entdecken Deiner Materialien Deine Collagen? Gibt es das überhaupt?

MB: Ja, das hat sich auch im Laufe der Jahrzehnte verändert. Am Anfang war es viel Material, das aus dem Trash der Großstadt kam, von Flohmärkten, aus Trödelläden und Haushaltsauflösungen, Altpapiere… Früher gab es noch Papierlager, die ich aufsuchen konnte und einfach mitnehmen konnte, was da rumlag. Es gab dort Papierbögen aus Druckereien und so etwas. Davon habe ich jetzt noch einiges gelagert. Das hat sich dann verändert, als ich als Stipendiat in die Türkei kam. In Istanbul habe ich dann anders gesammelt. Mich noch mehr aus dem Fundus der fremden Kultur bedient. Heutzutage kommt das nur noch selten vor, dass ich alte Sachen als Material verwende. Seit mehreren Jahren benutze ich neuwertige Folien, Transparentfolien, farbige Folien, die jetzt der Malerei noch näher kommen. Weil das Übereinanderlegen von unterschiedlichen Farbfolien ganz neue Farbtöne in den Collagen möglich macht.

CS: Wie kommst Du zu Deiner Farbigkeit? Spielt da auch die Kunstgeschichte mit rein? Gibt es da historische Malerei die dich inspiriert?

MB: Nein, das habe ich noch nie gemacht. Aber das wäre mal interessant. In der Malerei benutze ich Werbeanzeigen als Farbvorlagen. Das sind dort vor allem die schrillen Lichtinszenierungen, die ich dann als Farbskala für ein Bild verwende.

CS: Sehr spannend oder inspirierend erscheint mir bei Deiner Arbeit auch immer, jeweils entweder aus der Malerei heraus auf die Collagen zu blicken und auch andersherum, von den Collagen her denkend, auf die Malerei zu schauen…

MB: Ich würde immer sagen, ich bin Maler und Collagist. Ich würde das nie von einander trennen. Manche sagen ja: Ich bin Maler und mache auch Collagen. Bei mir sind das zwei Seiten derselben Medaille. Natürlich sind die Formate unterschiedlich, aber selbst die kleinen Formate brauchen manchmal Monate, bis sie stimmen, bis alles so liegt, wie ich es gerne hätte. Es handelt sich ja um Material, das ephemer ist. Man weiss ja meist gar nicht, wie Papierarbeiten in einigen Jahren dann tatsächlich aussehen werden. Keiner weiß wie das Material beschaffen ist und ob es sich irgendwann durch äußere Einflüsse verändern wird.

CS: Wie ist für Dich dieses Verhältnis zu diesen Arbeiten, die verschwinden können oder kaputt gehen können?

MB: Ich habe das schon des öfteren erlebt. In der Türkei gab es sehr schöne Papiere, z.B. von Reinigungen. Papier in das ein Kleidungsstück eingeschlagen wurde. Sie waren immer bedruckt – natürlich mit den Firmennamen und irgendwelchen Motiven. Da war zum Beispiel die Zeichnung von einem Mann, der einen riesigen Fleck auf dem Mantel hatte. Also kleine Darstellungen auf völlig holzhaltigem Papier, dass nach dem Gebrauch weggeschmissen wird. Diese Reinigungen hatten wunderbare Namen, ganz andere Namen als bei uns. Hier heißt ein Geschäft z.B. Müller oder Schmidt, in Istanbul hießen sie Vertrauen oder Schicksal. Aus diesen Papieren, mit schöne Schriftzügen versehen, habe ich dann Collagen geklebt. Ich bekomme ab und an die Rückmeldung zu verkauften Arbeiten, dass diese Motive verblassen. Da muss nicht einmal die Sonne darauf scheinen.

Wenn ich mit Materialien arbeite, die nicht für die Ewigkeit gemacht wurden, dann kann ich dazu stehen. Wenn Arbeiten Ephemere sind, hat das natürlich auch inhaltlich eine interessante Komponente. Stell Dir vor Du bist auf einer Reise oder hast ein Stipendium in einem fremden Land und irgendwann verschwindet langsam diese Zeit aus dem Gedächtnis. Dann bleiben vielleicht noch ein paar Fragmente an Erinnerungen übrig und wenn auch diese verschwinden, beginnt vielleicht schon die Legendenbildung! Man bekommt ein anderes Bild und selbst das kann verschwinden.

CS: Das ist ein ganz schöner Übergang zu diesem Schicht-Gedanken, den Du eingangs formuliert hast. Da sind Zeit- und Erfahrungsschichten, die überlagert werden und immer wieder blitzen noch einzelne Teile davon hervor und andere werden unsichtbar und verschwinden. Sie können vergessen werden – da helfen dann zum Beispiel Fotos… Und sie bauen aufeinander auf. Es ist wie eine menschliche Biografie.

MB: Ja, dieser Begriff der Biografie ist sehr passend. Jede Collage hat seine eigene Biografie. Durch das Material, aber auch durch den Arbeitsprozess.