MATTHIAS KOHLMANN

Künstler, geboren 1956, arbeitet in Stuttgart
Das Interview mit Matthias Kohlmann wurde am 15.07.2022 in seinem Atelier aufgezeichnet.

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Christian Schiebe: Matthias wie würdest Du, vorausgesetzt man kann es überhaupt in Kategorien fassen, Dein Wirken benennen? Ich habe mir während meiner Vorbereitung notiert: Matthias Kohlmann, Bildhauer, Collagist, Zeichner

MK: (lacht) Ja, die Reihenfolge könnte interessant sein.

CS: Ich dachte tatsächlich auch in der Reihenfolge?

MK: Ich weiß nicht, ob ich mehr vom plastischen – also vom bildhauerischen – komme oder tatsächlich mehr von der Zeichnung. Ich glaube, ich würde spontan Zeichner an erster Stelle setzen. Dann die Collage und dann die Bildhauerei. Es ist vielleicht auch ein zeitliches Phänomen, weil ich plastisch nicht mehr so viel arbeite. … Ja das ist eine interessante Frage. Komme ich eher vom Raum oder eher von der Linie… ?

CS: Ursprünglich hast Du Bildhauerei studiert?

MK: Ja, genau.

CS: Und in diesem Zusammenhang hast Du dann direkt begonnen, Skulptur im Raum zu schaffen oder Objekte zu suchen? Oder hast Du zuerst begonnen Zeichnungen herzustellen und diese als Baupläne zu verwenden?

MK: Nee, nee. Die Skulptur war immer ein eigenständiges Medium, dass im direkten Zugriff entstand.

CS: Also auch schon prozessorientiert?

MK: Ja. Und die Zeichnung war ganz selten Entwurfszeichnung im klassischen Sinne. Das habe ich eigentlich nie gemacht. Sondern ich habe immer parallel zum bildhauerischen Werk gezeichnet. Die hatten schon miteinander zu tun. Aber nicht als Entwurfszeichnung oder illustrative Ergänzung. Sondern die Zeichnung war auch schon von Anfang an, eine eigenständige künstlerische Positionierung.

CS: Und kannst Du sagen, wann sich das verschoben hat?

MK: Naja, Bildhauerei benötigt Zeit und Raum. Ganz besonders Zeit. Es braucht wirklich Zeit. Es gibt ja den blöden Witz: Der Bildhauer braucht immer ein bisschen länger, weil er einmal um die Skulptur herum gehen muss… Da steckt natürlich auch Wahrheit drinnen. Ganz offensichtlich ist mit dem Beginn der Professur 1999 so ein Zeitpunkt, an dem (für die eigene künstlerische Auseinandersetzung) einfach weniger Zeit übrig war. Dann hat sich das definitiv verändert. Ichbin viel mehr auf die Zeichnung gegangen, weil die sich schneller entwickeln konnte. So wie ich arbeite, dauert diese auch lang, benötigt Zeit. Aber ich komme schneller zu sichtbaren Ergebnissen. An denen ich dann auch weiterarbeiten kann. Skulptural habe ich nur noch punktuell gearbeitet – für Ausstellungen zum Beispiel und für spezifische Räume. Oder Kunst am Bau.

CS: Und könnte man dann in diesem Zusammenhang vielleicht die These aufstellen, dass die Collage das Scharnier zwischen diesen beiden Disziplinen für Dich bildet?

MK: Ja, auf der einen Seite schon, weil die Collage, so wie ich arbeite, eine bestimmte Räumlichkeit ins Bild bringt. Allein durch die Überlagerungen der verwendeten Materialien. Auf der anderen Seite ist die Collage aber auch eine inhaltliche Positionierung. Weil ich ja auch mit Fundstücken arbeite. Mit Gedrucktem, mit Bildwelten, die bereits existieren und damit einer Ästhetik, die von anderen Menschen bestimmt wurde. Die ich aber durch beschneiden und ausschneiden so verändere, dass diese zwar nicht mehr sichtbar ist, aber Ausgangspunkt für mich war. Es kommen noch andere Ebenen dazu, die jetzt nicht Skulptural bedingt sind, sondern eher inhaltlich.
Aber es gibt sicherlich auch in den großen Papierarbeiten Formen, die historisch gesehen schon als Flachrelief durchgehen könnten. Da kommt also sicherlich auch eine räumliche Dimension mit dazu. Was ich interessant finde, dass sich die Fläche an diesen Stellen nochmals anders definiert, als wenn eine gezeichnete Linie darauf gesetzt wird.
(…) Andererseits sind diese Gattungsbegriffe für mich nicht interessant. Sie interessieren mich eigentlich null. Das hat sich im Laufe meiner Entwicklung so ergeben, dass die Collage ein Medium ist, mit dem ich am Besten ausdrücken kann, was ich möchte. Es gibt zwar Phasen, in denen versuche ich mich zu beschränken. Auf rein lineare Strukturen. Da reinige ich das Atelier und lege mir nur einen Bleistift hin und versuche mich total zu disziplinieren. Das gelingt mir manchmal. Maximal zwei Tage und schon kommt ein anderes Material mit dazu. Ein anderes Medium. Also, ich halte das einfach nicht durch und irgendwann habe ich mir gedacht, warum soll ich mich in etwas reindisziplinieren, was nicht meines ist?! Es drängt sich offensichtlich auf, dass ich mit diesen unterschiedlichen Materialien und Ebenen arbeiten will… Und so gebe ich denen zunehmend Raum. Das ist auch immer ein offenes Spiel, das mich da interessiert.

CS: Dieses offene Spiel zieht sich eben auch durch. Das Prozessorientierte; Suchen, Finden, Sammeln…

MK: Ja. Absolut. Was natürlich auch ein Platzproblem ist. Wenn man hier im Atelier so sieht, was sich alles ansammelt. Das Atelier wird dadurch für mich zu einem inspirierenden Ort. Ich habe inzwischen eine Materialdichte an Resten, dem was wir Abfall nennen. Da muss ich in guten Momenten nur reingreifen und ich habe sofort Bildwelten.

CS: Wenn ich einen Blick auf Deine Arbeiten hier im Atelier werfe, dann stellt sich mir sofort die Frage; welche Rolle spielt eigentlich für Dich das Fragment.

MK: Klar, das Fragment spielt inhaltlich bedingt eine ganz wichtige Rolle. Es könnte ja sein, dass das Fragment wertvolle Hinweise gibt auf etwas Ganzes – das weißt Du ja aus Deiner Zeit in Ägypten bei den Ausgrabungen –, was nicht mehr vorhanden ist. Und so verstehe ich auch das Fragment – so arbeite ich hier mit diesen Stücken. Auf der anderen Seite sehe ich dieses ehemalige Ganze auch gar nicht mehr. Das Fragment selbst bekommt eine Wertigkeit und Bedeutung von einem Ganzen. Das liegt auch daran, wie ich Welt begreife. Die Welt fragmentiert sich immer mehr, und dieser genialistische Blick von Thomas Mann, der einen Roman schreibt, in dem er als Autor das Dach des Buddenbrooksch’en Hauses hochhebt und in jeden Raum hineinschaut und jede Figur erkennt und sieht und beschreibt, diesen Blick des Autors habe ich nicht mehr. Was bleibt mir anderes übrig, als über Fragmente zu versuchen, etwas zu beschreiben.

CS: Ein weiterer Begriff der mir sofort im Zusammenhang mit Deiner Arbeit einfällt, ist das Unentwirrbare.

MK: Ja. Super.

CS: Es gibt das Fragment und es gibt das Unentwirrbare.

MK: Das sehe ich auch so. Wenn ich in die Welt schaue, dann sehe ich da eine große Komplexität. Das Komplexe ist ja nicht kompliziert. Das Komplexe kann auch in einer einzigen Linie stattfinden – das sage ich jetzt dem Zeichner Christian Schiebe, der da mit vier Linien operiert und eine Komplexität darstellt. Aber die ist nicht kompliziert. Das Unentwirrbare ist auch ein anderer Aspekt von dieser Komplexität. Ich habe jetzt eine andere Form das darzustellen. Es ist wirklich ein schöner Begriff. Der gefällt mir.

CS: Meine Frage zielt auch darauf, zu versuchen, mit Dir den Begriff Deines ästhetischen Konzepts einzukreisen. Wenn ich auf Deine Arbeit blicke, dann denke ich – wie gesagt – sofort an das Fragment. An die Überlagerungen. An das Reliefhafte, dem Griff nach dem Raum. Gerade wenn man hier in Deinem Atelier steht und von Deinen Arbeiten umzingelt wird; Die Blätter die auf den Tischen liegen, an den Wänden lehnen, hängen, die einem aus jedem Winkel des Raumes begegnen. Und ich denke, dass man die Einzelteile eigentlich gar nicht mehr auseinanderbekommt.

MK: Klar, ist das auch eine Frage die mich treibt. Ich habe auch Einzelbilder. Das heißt, es gibt Zeichnungen und Collagen, die ich rahme und die in Sammlungen hängen und die als Einzelbild Bestand haben. Ob das jetzt möglicherweise der Tribut an den Markt ist, dass müsste man nochmal diskutieren. Aber ich lege schon auch das Einzelblatt als Einzelblatt an. Das muss als Einzelblatt für mich funktionieren und Bestand haben. Dann kann ich mit diesem Einzelblatt in andere Blätter reingehen. Trotz allem prozesshaften Arbeitens, geht es schon auch immer um ein Ergebnis – denn das benötigt nunmal das Visuelle. Wenn ich eine Ausstellung mache, dann könnte ich jetzt auch extrem auf das Prozesshafte verweisen… Aber das Einzelne oder die Entscheidung für das Bild grundsätzlich, muss ich definieren und das möchte ich auch definieren, mit einer bestimmten Ästhetik; Nicht nur formal sondern auch inhaltlich. Diese inhaltliche Position – darüber hatten wir ja vorhin schon gesprochen – das ist eben das Interesse am Fragment, an der Atomisierung; Das Interesse daran, dass sich die Dinge atomisieren und ich sie nicht mehr zusammenbekomme. Das Unentwirrbare kommt dann sicherlich mit dazu… Die heutige Zeit ist schwer zu entwirren und trotzdem leben wir da – mit allen Freuden und Leiden und Hoffnungen und so weiter. Ich hab ja auch eine Freude, wenn ich hier arbeite. Ich bin ja kein pessimistischer Mensch. Ich gehe wahnsinnig gerne hier rein und geniesse diesen Freiraum, erst einmal ins Spiel zu kommen und zu experimentieren; Zu probieren; Mich in Frage zu stellen; Das Bild in Frage zu Stellen; Zerschneiden; Zerrupfen; Neuzuordnen… Das sind so die Bedingungen, mit denen ich arbeite und auch mich immer wieder neu befrage: Mit welchen ästhetischen Kriterien (…) oder ab wann ich ein Bild als gelungen betrachte – das ist ja eine Wahnsinnsfrage.
Eigentlich finde ich die Collagen und Zeichnungen interessant, wo mir etwas nicht gelingt. Da fängt es an, offensichtlich eine Ästhetik zu haben, mit oder an der ich mich reibe. Wenn mir etwas gelungen ist, dann ist das auch immer die Entsprechung meiner ästhetischen Vorstellung. Und die stelle ich schon immer in Frage. Ist das gefällig? Ist das schön? Ist das hässlich? Ist es dicht? Da gibt es so viele Kriterien und ich möchte die auch unabhängig von Tageskonditionen haben.

CS: Ist das ein Ansatz den man in der bildenden Kunst anders als in der angewandten Kunst viel stärker verfolgen kann? Also über ästhetische Konzepte zu arbeiten und auch zu hinterfragen?

MK: Die Angewandten haben eine völlig andere Adressierung. Wenn ich mich jetzt bei meiner Arbeit frage, an wen ich die adressiere, dann bin ich selbst der erste Empfänger und das eröffnet mir natürlich unheimliche Freiräume. Klar sagt man jetzt so lässig, wir können machen was wir wollen… Du siehst ja jetzt hier weder eine Figur, noch ein Portrait, noch eine Landschaft. Ich arbeite an dem, was sich mir im Laufe der Jahre als mein Feld ergeben hat. Aber dieses Nutzlose – das ist das Entscheidende und das finde ich ganz wichtig. Dass ich hier in diesem großen Raum Dinge machen kann, die erst einmal nutzlos sind. Fast alles was wir tun, erfolgt zu irgend einem Zweck. In dem künstlerischen Kontext kann ich zweckfrei sein.

CS: Du sagst auch sinngemäß, wenn Du eine Ausstellung machst, dann machst du keinen Showroom draus, in denen die Leute sich was hübsches für ihr Wohnzimmer aussuchen können… Es geht eher um eine Konfrontation. Auch mit deren ästhetischen Vorstellungen…

MK: Genau. Ich treibe meine Bildvorstellungen weiter. Und dann möchte ich natürlich auch die Betrachterin oder den Betrachter dazu bringen, die eigenen Bildvorstellungen zu überprüfen. Durch diese mediale Verseuchung um uns herum werden unsere Bildwelt sehr stark geprägt. Die Bildwelten, die durch die Kunst entwickelt werden, die haben nach wie vor eine Radikalität und Subjektivität – und das wird möglicherweise auch in der medialen Welt eine immer größere Rolle spielen. Und diese weiter zu treiben – das finde ich einfach toll. Einerseits ein Luxus, andererseits aber auch eine echte Aufgabe von Kunst: Immer wieder neu zu sein und es weiter zu treiben. Und auch hier nochmals dieses Nutzlose dabei. Denn das bedeutet eben erstmal Freiraum und Freiheit.

CS: Vielleicht muss oder kann man das auch immer wieder relativieren, denn das Nutzlose hat ja letztlich doch wieder den Nutzen, weil es Denkräume eröffnen kann. Nur sind sie eben nicht konkret nutzbar. Nie konkret anwendbar. Sie eröffnet nur den Raum und macht dann ein Angebot…

MK: Genau. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Es ist ein Angebot in diese oder jene Richtung zu denken und zu überprüfen und neu wahrzunehmen – einfach auch lustvoll zu sehen. Tanzen ist wohl eine der häufigsten Betätigungsformen von jungen Menschen und ist auch völlig nutzlos. Oder auch sich zu verlieben. Das ist eher beschwerlich und hindert Dich am Alltag, verwirrt und so weiter. Aber es ist eben eine äußerst lustvolle Betätigung. Und auf dieser Ebene sind wir bei der Kunst auch.
Wobei dabei der Gedanke interessant sein könnte, wie wir verliebt sein überführen in eine dauerhafte Form. Das Verliebtsein kennen wir alle – auch in die eigene Zeichnung, manchmal gehe ich abends aus dem Atelier raus und bin davon überzeugt, dass ich eine super Serie hingeschmissen hab und komme dann am nächsten Tag rein und es ist einfach Mist. Das Verliebtsein – das ist einfach eine super Form, den Prozess wach zu halten und auf der anderen Seite muss man das dann aber auch sehr kritisch überprüfen und überführen…

CS: Du betonst immer wieder, dass Du die Arbeit und das Denken überprüfst und dass Du immer wieder auch ran gehst: Die Arbeiten waren bereits gerahmt, in Ausstellungen – andere würden vielleicht sagen, die sind bereits im Werkkörper eingeflossen und Du sagst aber: Nee!

MK: Genau. Die Arbeiten müssen standhalten und wenn ich nach vier Monaten sehe, die halten nicht Stand, dann kann ich ja gar nicht anders als wieder drüber zu gehen. Ich kann die ja nicht stehen lassen?!

CS: Ich finde das schon besonders, weil Du jetzt sagst, Du hast hier Blätter auf den Tischen in deinem Atelier liegen. Die liegen hier teilweise seit Monaten und Du sagst, die müssen aber noch. Die sind noch nicht geklärt. Eine andere Möglichkeit wäre ja auch zu sagen, ja – bis hier bin ich gekommen, da gehts nicht weiter, die packe ich weg; Ich fange wieder von vorne an!

MK: Gibts auch. Ich habe Schubladen voll mit Zeichnungen… Aber die hole ich dann regelmäßig raus, alle halbe Jahre und guck den Stoß durch und dann ziehe ich doch wieder zwei raus. Und bei denen denke ich dann die stimmen nicht – und die kommen dann auf die Tische und werden beobachtet und irgendwann geht es weiter.

CS: Dann erkennst Du in denen auch immer ein Potential?

MK: Ja, an manchen arbeite ich mich dann auch einfach ab… Die sind dann Platzhalter für irgendwas anderes, was ich sonst nicht hinbekomme. Ich arbeite wie Du siehst an vielen Blättern gleichzeitig und da ist ja immer die Hoffnung, in einen flow zu kommen und dass dadurch an manchen Stellen Dinge passieren, wo es wirklich stimmig ist . Um mich in diesen Prozess einzuarbeiten, brauche ich mehrere Betätigungsfelder. Manchmal dienen die alten einfach so als Starthilfe. Das kann sein, dass die misslingen. Dass ich da nicht mehr reinkomme und dann verschwinden die auch und gehen ins Altpapier – aber das passiert eigentlich selten. ich bin da geduldig mit meinen Zeichnungen. Die brauchen auch ihre Zeit und mein Auge ist auch nicht immer so wach, wie ich gerne hätte. So lange ich den Platz habe, lasse ich sie liegen. Manche ergänzen sich auch mit anderen Arbeiten. Dann baue ich die in größere Collagen ein, sie bekommen genau da ihren Platz.

CS: Zur Materialwertigkeit. Du beginnst ja mit verhältnismäßig günstigen Materialien, gefundenen Materialien oder du verwertest schon benutzte Materialien.

MK: Die Grundmaterialien haben schon eine Qualität, in dem Sinne, dass es gutes Papier ist und dass es lichtechte Farben sind und so weiter. Diese Basis ist da. Aber mit dieser arbeite ich dann völlig frei und wiederverwertbar. Es gibt Phasen, in denen ich aus kunsthistorischen Büchern oder allen möglichen Zeitschriften bestimme Ausschnitte verwende und collagiere. Es gibt Teile, wo ich wieder mit Folie arbeite – das habe ich vor Jahren schon einmal gemacht. Auch am Rechner habe ich bestimmte Dinge entwickelt. Also über Zeichnungsprogramme herstelle und ausdrucke und dann wiederum in diese reingehe, mit Tusche oder Collage und so weiter. Also das, was wir Abfall nennen, ist etwas, was mich interessiert. Weil der Abfall eine Sache ist, die vom Rand her gedacht wird. Abfall entsteht am Rand. Wir haben ja oft den Fokus auf das Zentrum und arbeiten vom Zentrum her an den Rand heraus und dann fällt etwas ab. Das ist eine völlig andere Bildvorstellung als eine normale Setzung vom Zentrum her zu machen. Der Abfall interessiert mich daher, weil er den Rand von etwas definiert. Ich muss im Zentrum arbeiten um Abfall produzieren zu können. Der Abfall ist natürlich auch das Unabsichtliche – eine Absichtslosigkeit, die mich interessiert. Und mit der arbeite ich dann weiter und setze diese ins Zentrum. Der Gedankengang interessiert mich: Das Absichtslose neu zu definieren und mit diesem absichtsvoll zu arbeiten. Das ist immer dieses Spiel mit Zufall und Setzungen. Manchmal sitze ich ja hier und zeichne eine Stunde eine Linie neben die andere, hochkonzentriert und dann kommt ein dicker Tuschepinsel drüber und in drei Sekunden geht dann ne gestische Bewegung da rüber und eine zweistündige Arbeit ist danach nicht mehr sichtbar. Aber sie sind ins Blatt eingeschrieben. Trotzdem. Und dann fange ich an das zu zerschneiden, weil die Setzung nicht stimmte… So schreiben sich die Sachen dann fort für mich.

CS: Wie ist es möglich, dieses prozessorientierte Arbeiten in den Ausstellungsraum zu überführen?

MK: Mein Weg ist es, diese Fülle, die ich auch im Atelier habe, zu überführen. Klar gibt es dann auch immer einen Akt der Reinigung. Das Atelier hat seine Atmosphäre und die Bilder unterstützen sich dort auch gegenseitig. Es ist daher schon gut, die Teile für sich selbst zu sehen. Damit diese Bestand haben.In meiner Vorstellung zumindest, plane ich für meine neue Ausstellung, den Raum quasi in Teilen überbordend zu Füllen. Ähnlich wie es Dir geht, wenn Du hier ins Atelier kommst und Du gar nicht weißt, wo Du anfangen sollst. Wenn das in einer bestimmten Form möglich ist, dann ist da etwas gelungen. Ist aber dennoch auch so ein Spiel zwischen der Einzelarbeit und dem prozesshaften Immer-Weiter. Die Zeichnung ist ja auch eine Frage der Entscheidung. Jede Linie ist eine Entscheidung, die ich treffe und ich muss auch immer jede Einzelzeichnung entscheiden. So ist es und nicht anders. Und das ist auch gut so und das zwingt mich auch zu einer disziplinierten Form des Denkens. Sonst wäre ja alles beliebig.

CS: Dann gibt es ja auch die Möglichkeit zu sagen, dass jedes Blatt das sich aus dem Prozesskörper herauslöst, wiederum auf den Selben verweist. Also wenn ich ein Blatt vom Kohlmann bei mir im Arbeitszimmer hängen habe und es betrachte, dann blicke ich zu dem auch auf dieses Tun im Gesamten.

MK: Es gibt diese beiden Thesen – das Einzelne steht für das Ganze, oder dass das Ganze mehr ist, als die Summe der Einzelteile. Mein Wunsch in einer Ausstellungssituation: dass der Raum mehr ist, als die Summe der Einzelteile zu einander. Wobei die Einzelteile für sich weiterhin ihre Berechtigung haben. Aber dieses Moment, das entsteht, wenn Besucher:innen da reingehen, dass das in einem emphatischen Sinne berührt. Das wäre das schönste Geschenk, wenn so eine Ausstellung Menschen berührt. Wenn das einzelne Blätter schaffen ist das toll und wenn das die Ausstellungssituation als Ganzes schafft, dann ist das auch toll. Wenn ich an meine Begegnungen mit Kunst denke, dann geht es immer um Berührung.