LUISE VON ROHDEN

Künstlerin, geboren 1990, arbeitet in Leipzig
Mit Luise von Rhoden fand in einem Zeitraum von Februar bis Mai 2022 eine Korrespondenz per mail statt.

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Christian Schiebe: Wie sieht ein typischer Ateliertag bei Dir aus?

Luise von Rohden: Einen richtig typischen Ateliertag gibt es bei mir nicht. Es gibt eher Routinen, die sich für einige Zeit einstellen und dann wieder unterbrochen oder geändert werden. Dabei mag ich eigentlich Wiederholungen – solange sie nicht starr werden. Das sieht man meinen Bildern ja auch an: Sie entstehen aus der Wiederholung gleicher Striche und Liniensysteme. Freihand mit dem Pinsel gezeichnet ist die Wiederholung aber immer lebendig und voller kleiner Unregelmäßigkeiten. Natürlich gibt es Arbeitsschritte und Vorgehensweisen, die ich mir über die letzten Jahre erarbeitet habe – wie ich das Papier aufspanne, schneide, verpacke, transportiere, lagere. Wie ich Tusche und Wasser mische, den Pinsel halte usw.
Mein Ateliertag beginnt mit einer halbstündigen Fahrradfahrt ins Atelier. Im Atelier angekommen, schneide ich zuerst vielleicht Papier zurecht und spanne es auf meiner Atelierwand mit Magneten auf. Wenn ich gerade mitten in einer Arbeitsphase bin, steht vielleicht schon genau richtig verdünnte Tusche bereit. Sonst muss ich sie mischen: Mit Probepinselstrichen auf Papierresten oder in kleineren Formaten versuche ich, die genau richtige Mischung von Wasser und Tusche hinzubekommen. Wenn ich farbige Tuschen übereinander lasiere, braucht das natürlich nochmal mehr Zeit. Die Farben sollen genau richtig aufeinander abgestimmt sein. Ist das getan, fange ich an zu malen. Pinselstrich folgt dabei auf Pinselstrich. Ein Bild oder zumindest eine Tuscheschicht muss immer an einem Tag zu Ende gebracht werden. Die Unterbrechung wäre sonst zu sehen, weil Tusche, Hand und Pinsel jeden Tag doch ein bisschen anders zusammen gehen. Wenn ich an großen Bildern mit dünnen Pinseln arbeite, muss ich also viele Stunden Zeit haben.
Mein Atelier teile ich mit zwei Buchkünstlerinnen. Ich mag es sehr, wenn wir alle parallel da sind. Überhaupt finde ich es gut, wenn ich konzentriert „für mich“ arbeiten kann, drumherum aber noch anderes passiert. Fast immer höre ich beim Malen Radiosendungen – es ist gut, wenn Körper, Hand und Auge konzentriert beim Bild sind, die Gedanken währenddessen aber nicht vollkommen damit beschäftigt sind.
Am schwersten fiel mir vielleicht immer schon das Anfangen nach einer Pause. Manchmal beginne ich deshalb einfach, indem ich etwas Schongemachtes wiederhole. Mittlerweile habe ich so viele Punkte, bei denen ich gern nochmal anknüpfen will; das heißt Liniensysteme, die ich eigentlich noch weiter entwickeln möchte. Das ist das Erstaunliche und Schöne an einer Arbeitsweise, die sich eigentlich recht enge Rahmen in ihren Mitteln, Formaten … setzt: Egal wie tief ich eintauche, die Möglichkeiten und Variationen bleiben unendlich. Kleine Verschiebungen können viel verändern, weil es immer um die Komplexität des zuerst scheinbar ganz Einfachen geht. Aus dem Tun heraus – dem Wiederholen, Variieren, Schichten, Anschauen und Weitermachen – entwickeln sich oft nach und nach Bildreihen, die ich so vorher nicht im Kopf hatte.
Beglückend sind natürlich die Tage, an denen plötzlich etwas zum Vorschein kommt. Die Striche werden zum Bild und ich sehe etwas, das ich Blatt um Blatt weiter herausarbeiten und präzisieren kann. Ebenso beglückend sind Tage, an denen ich gerade mitten in der Arbeit an einer Bildreihe bin: Tage, an denen ich variieren, wiederanschauen und weitermachen kann. In diesen Phasen tritt möglichst alles andere in den Hintergrund. Aber organisieren, kommunizieren, dokumentieren, verpacken und lagern, ordnen, aussortieren, aufräumen, Ausstellungen vor- und nachbereiten gehören natürlich auch mit dazu und nehmen viel Zeit ein.

CS: Du hast diese großformatigen Pinselarbeiten auf Papier, auf die Du dich also zeitlich stark einstellen musst; Ein Arbeitsvorgang muss auch an einem Tag fertig gebracht werden. Was machst Du, wenn Du innerhalb des Arbeitsvorgangs beginnst zu zweifeln; ziehst Du egal was kommt, Dein geplantes Liniensystem durch? Oder ist Zweifel im Prozess für Dich gar keine relevante Kategorie?

LR: Als ich angefangen habe, mit Tusche auf Papier zu arbeiten, habe ich mir ziemlich bald vorgenommen, jedes Blatt zu Ende zu bringen – auch jetzt halte ich mich fast immer daran. Indem ich trotzdem weitermache, übe und präzisiere ich. Ein Bild braucht oft mehrere Vorblätter, bevor es wirklich gelingt; besonders wenn ich eine neue Bildreihe, ein neues Strichsystem entwickle. Manchmal entstehen aus innerlich schon aufgegebenen Blättern sogar die besten Bilder. Kleine Unregelmäßigkeiten und Fehler in sonst präzisen Arbeiten sind mitunter gerade gut. Oder es passiert etwas, das ich sonst nicht versucht hätte. Zweifel kommen natürlich immer wieder. Aber ich habe entschieden, sie während des direkten Prozesses möglichst wegzuschieben. Sie kommen eher zum Zug, wenn ich mir Gemachtes noch einmal anschaue oder bevor ich nach einer Pause wieder beginne. Oder sie drehen sich um grundsätzlichere Fragen.

CS: Deine Arbeiten sind komplexe und zugleich strenge Liniensysteme. Sie beziehen sich jedoch nicht auf Systeme aus der sichtbaren Welt? Oder gibt es das auch?

LR: Nein, sie beziehen sich eigentlich nie direkt auf etwas außerhalb von ihnen. Die Bilder sind selbst Teil der sichtbaren Welt. Sie stellen nichts dar.
Aber es kommt vor, dass ich etwas sehe und dadurch eine Suche im Atelier beginnt: Ich erinnere mich zum Beispiel an einen scheinbar grauen Pullover, den ich mal hatte. Wenn man ihn von ganz Nahem sah, konnte man erkennen, dass sein Gestrick eigentlich aus bunten Fäden bestand, die sich dann zu einem Grau addierten. Seitdem wollte ich Bilder entwickeln, in denen eine fast monochrom graue Fläche aus stark farbigen Strichen entsteht. Aber es hat mehrere Jahre gedauert, bis daraus Bilder entstanden sind.
Oder Wasseroberflächen: Sie verändern sich ständig. Sie sind in sich eine unteilbare Fläche, aber in dieser gibt es unendliche Variationen. Ich glaube, ähnliches suche ich auch immer wieder in meinen Bildern. So kann Gesehenes schon Anlass und Anfangspunkt werden.
Der Anlass wird im Laufe des Prozesses aber immer unwichtiger. Die Bilder sollen ihrer eigenen Logik folgen können – nicht einer Idee, die ich irgendwann mal hatte, oder einer Beobachtung, die ich dann wiedergeben will.

CS: Ich finde es sehr interessant, dass Du darauf zielst, dass die Bilder ihrer eigenen Logik folgen können, um eigenständige visuelle Erfahrungen zu ermöglichen. In welchem Zusammenhang stehen dabei die Formate, die Du für Deine Arbeiten wählst?

LR: Ja, das ist eine Frage, die ich mir auch gestellt habe. Das Format 180 x 150 cm hat sich zuerst ganz intuitiv ergeben: Ich finde, es ist ein Format, bei dem das Bild zu einem gleichberechtigten Gegenüber wird. Die Bildfläche ist gefühlt in etwa so groß wie mein Körper. Ich bin dabei geblieben, weil ich das Format immer wieder gut fand. Außerdem wollte ich die Bilder als Reihe zeigen – immer wieder neu kombinierbar, ohne dass verschiedene Formate ins Gewicht fallen. Die kleineren Formate sind u.a. aus ganz praktischen Gründen dazu gekommen, teils als ich begonnen habe, mit Galerien zusammenzuarbeiten. In den kleineren Formaten kann ich außerdem etwas rascher Variationen durchspielen und ausprobieren. Die genauen Formate habe ich nach längerem Ausprobieren festgelegt. Die Ränder um die Bildfläche variieren dabei aber je nach Strichsystem. Die Beschränkung auf bestimmte Formate hat auch etwas mit Reduktion zu tun. Meine Arbeitsweise ist ja dadurch bestimmt, dass ich mich an vielen Stellen selbst beschränke. Alles, was nicht so entscheidend für die Bilder ist, soll möglichst wenig Raum einnehmen. Das Format ist eine solche Beschränkung.

CS: Und sich auf Papier als Trägerin zu konzentrieren ist auch Teil einer Beschränkung?

LR: Ja. Ich mag Papier als Bildgrund einfach sehr. Ich mag, dass es ein alltägliches, irgendwie auch einfaches Material ist. Aber wenn ich von diesen formalen oder das Material betreffenden Selbstbeschränkungen spreche/schreibe, klingt das vielleicht konzeptueller, als es ist. Die Beschränkungen sind eher aus der Sehnsucht nach reduzierten, ruhigen und konzentrierten Bildern entstanden. Zur Zeit habe ich Lust, den mir selbst gesetzten Rahmen in verschiedene Richtungen auszuweiten. Mal sehen!

CS: Ich würde gerne noch einmal auf Deine Formate zurückkommen, die sich als Bildfläche ansatzweise Deiner Körpergröße nähern. Du hast ja zum Teil diese fließenenden Linienführungen auf den Arbeiten, die sich über die ganze Fläche erstrecken können. Spielt da für Dich so ein Aspekt; „Was ist für mich körperlich überhaupt machbar“, auch eine Rolle? Also schlicht physiognomische Beschränkungen?

LR: Die Begrenzung der Machbarkeit liegt, wenn ich die Striche durchziehen will, eher bei Tusche und Pinsel. Irgendwann ist ja immer weniger Tusche im Pinsel und der Strich franst aus. Aber schon länger will ich einmal gezielt mit dem Auslaufen oder dem erneuten Ansetzten des Striches arbeiten. Die Körpergröße begrenzt nicht unbedingt die Formate: Von Anfang an habe ich auch Leitern, Fußbänkchen oder improvisiert verlängerte Pinselstile benutzt. In einigen Bildern ist in den Strichen der Moment eingezeichnet, in dem ich z.B. eine Leiterstufe runter gestiegen bin oder mein Gewicht von einem Bein auf das andere verlagert habe und sich so das Tempo und der Druck des Pinsels auf dem Papier ganz leicht geändert hat. Solche Spuren, die sich aus dem Prozess ergeben, habe ich dann immer wieder auch weiterentwickelt.

CS: Gibt es für Dich so etwas wie einen Idealraum, in dem Deine Arbeiten zu sehen wären? Wenn ja, was würde der für Dich und vielleicht auch für das Publikum bereithalten?

LR: Viel Licht – Tageslicht, das sich mit dem Tagesverlauf und dem Wetter ändert. Die Bilder erscheinen dann immer wieder anders. Außerdem eine Sitzmöglichkeit, sodass sich der oder die Betrachtende länger im Raum aufhalten kann. Für Ausstellungen freue ich mich natürlich über helle, großzügige Räume, in denen die Bilder ohne viel Ablenkung zu sehen sind. Andererseits sind Wohn- und Aufenthaltsräume des täglichen Lebens mindestens genauso ideale Räume – ich selbst mag es sehr, mit Bildern zu leben, sie immer wieder in unterschiedlichen Situationen anzuschauen, vor ihnen zwischendurch Pause zu machen. Als ich während des Studiums für ein Auslandssemester zum Studium der traditionellen chinesischen Tuschmalerei in China war, fand ich die Tradition von Bildrollen toll. Die Vorstellung, dass man mehrere Bildrollen aufbewahren kann und sie immer mal wieder zum Anschauen hervorholt.
Die Bilder entstehen zuerst auch als Anschauungsgegenstand für mich selbst. Ich will, dass sie dazu Anlass sein können, wach, konzentriert und ruhig zu schauen. Sie sind ja nicht besonders laut oder aufregend – gerade das Nicht-Viel kann die Aufmerksamkeit für Feinheiten herausfordern.